J A Z Z
NACHRUF
Charlie Haden -
D ie H o h e K u n s t d e s H in h ö r e n s
Am 11. Juli 2014 wurde die Jazzwelt nicht nur ärmer, was angesichts des Todes eines
großen Musikers oft beklagt wird, sie wurde vor allem auch kälter. Denn kein
anderer Protagonist gab dem modernen Jazz so viel Wärme wie Charlie Haden mit dem unver-
wechselbaren Klang seines Kontrabasses
Haden zelebrierte den sonoren Sound seines Instruments.
K
a n n ein M u sik er Free
Jazz, C o u n try M usik,
B alla d en ,
A m e ric a n
S ongbook, F ilm m u sik u n d
R ev o lu tio n slied er im Laufe
eines bew egten Lebens glaub-
w ürdig u n d bew egend ‘rü b er-
b rin g e n ?
O b e n d re in
m it-
tels eines In stru m en tes, das
n icht unbedingt als Leitm otiv
gebend selbstverständlich ist.
D och C harlie H ad en spielte
eben n icht n u r m it dem Bass,
sondern vor allem m it seinem
H erzen. U n d dieses w ar von
ein em tiefen H u m a n ism u s
geprägt. Es ließ die vier Saiten
des m ächtigen In strum ents in
unvergleichlicher W eise atm en
u n d singen.
M ö c h te m a n die Q u in t-
essenz v o n C h arlie H ad en s
Schaffen sp ü ren , so gelingt
dies am b esten m it „B eyond
The M isso u ri Sky“, je n er h y m n isch e n
W id m u n g an seine H eim at, die er m it
einem M u sik er teilt, d er ih m w ie k ein
zw eiter nahe stand. Pat M etheny w uchs
wie H aden in einem K uhkaff in der w ei-
ten Landschaft des M issouri auf. U n d er
n en n t den 18 Jahre älteren Bassisten m it
d en C o u n try -W u rze ln sein en g rö ß ten
Einfluss. Lauscht m an den schw erelosen
G itarren- u n d Synthieklängen des zeitlos
jugendlichen W uschelkopfs, lässt sich die
Seelenverwandtschaft der beiden erahnen.
Ein weiterer kongenialer M usikerfreund
über 40 Jahre hinw eg w ar K eith Jarrett,
m it dem er erstm als 1967 zusam m en m it
Paul M otian ein Trio bildete, das öfters
durch den Saxophonisten Dewey Redm an
zum Q uartett erweitert wurde, dessen letz-
tes A lbum „The Survivors Suite“ 1977 bei
ECM erschien. D azw ischen liegen über
ein D utzend überw iegend am erikanische
P roduktionen u n d zahlreiche Live-Kon-
zerte, die zu m A ufregendsten gehören,
was der m oderne Jazz zu bieten hat. Stets
w ar H adens Bass-Spiel der erdende Anker
zwischen einem m it Klangschälchen, Ras-
seln u n d G löckchen h an tieren d en Paul
M otian an den D rum s und einem oft in
T rance versinkenden Jarrett, der das Pia-
no-fixierte Publikum nicht selten m it sei-
n en A usflügen a u f d er H irtenflöte u n d
d em S o p ran sax o p h o n irritierte. W e n n
H aden dan n den A nker lichtete, brachte
er die w arm en Töne zum Fliegen und m it
ihnen die Gefühlswelt der Zuhörer. Balan-
cierte das T rio/Q uartett soeben noch am
Rande des Free Jazz, so schwelgte es plötz-
lich in Erhabenheit. Eine Spezialität Keith
Jarretts, der in H aden den wohl
besten Z uhörer hatte, der stets
genau spürte, w ann er die vom
Steinw ay h in g eh au ch ten T öne
aufgreifen u n d zum Schw eben
bringen konnte.
H adens M ark en zeich en w ar
nie die Raserei übers Griffbrett,
m it der sich die m eisten Bass-Gi-
ganten gegen ihre Bandkollegen
zu behaupten versuchten, getrie-
ben von der Idee, auch ihr Ins-
trum ent zum gleichberechtigten
Solopart zu machen. Stattdessen
lebt das H ad en ’sche Spiel vom
unvergleichlichen Sound seines
v o n einem französischen G ei-
< genbauer geschaffenen und m it
25 D arm saiten bespannten Instru-
i m ents. M it seinem kräftigen Puls
$
und m editativen A tem verlieh er
o der M usik zugleich Schw erkraft
u n d Schwerelosigkeit. W u n d er-
b a r n ach zu v o llzieh en a u f d er
ECM -Produktion „Arbour Zena“ aus dem
Jahr 1976, auf der er das Bindeglied zw i-
schen Jarretts Piano, G arbareks Saxophon
und dem Streichorchester un ter Leitung
von M laden G utesha bildet.
W elch lan g er W eg v o m jo d e ln d e n
Kleinkind, das zusam m en m it The H aden
Fam ily Band auftrat u n d som it schon in
jungen Jahren C ountry M usik inhalierte,
zum souveränen Bassflüsterer, g ro ß arti-
gen K om ponisten u n d kongenialen P art-
ner der größten Jazzm usiker. Als der 15
Jahre ju n g e C harlie an K inderlähm ung
erkrankte, w urde sein K ehlkopf derart in
M itleidenschaft gezogen, dass er als Jodler
und Sänger für die F am ilienband ausfiel,
und er sich daher verschiedensten In stru -
m en ten w idm ete. Als sein V ater m it ihm
nach O m ah a reiste, u m C harlie P arker
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